Kristallographische Schätze aus Idar (Artikel im Lapis Oktober 1999)
Vogelschnäbel und Sterne
In der Regel sind alle natürlich vorkommenden Quarzkristalle verzwillingt. Diese Tatsache akzeptiert jeder Sammler irgendwann. Daß man diese Verzwilligung nur sehr schwer erkennen kann, weil den Quarzzwillingen in der Regel ein deutliches Charakteristikum, die einspringenden Winkel, fehlen, erschwert das Akzeptieren dieser Tatsache. Umso mehr trachtete ich selbst danach, die Ausnahmen dieser Regel in meiner Sammlung zu dokumentieren. Das dies mit Vogelschnäbeln und Sternen passieren würde, hätte ich allerdings nicht erwartet.
Es war in einer Zeit der Aufregung, Erwartung und Wehmut als diese Geschichte ihren Anfang nahm.Gegen Ende meines Studiums in Idar-Oberstein nahm ich während eines Semesters die Gelegenheit wahr, an einer Expedition zu einem der letzten verbleibenden weißen Flecken der Erde teilzunehmen. Gut - bleiben wir ehrlich, der Flecken war hell- bis mittelgrau mit einem deutlichen Stich ins Rote - es ging in die Volksrepublik Mongolei. Ziel der Expedition waren unter anderem Edelsteinprospektionen auf Pegmatite. Dies erforderte neben geologischen und mineralogischen Kenntnissen auch die handfesten Erfahrungswerte eines Edelsteinschleifers, weshalb ich von der restlichen Gruppe ausgewählt wurde.
Zu diesem Zeitpunkt lernte ich gerade meine spätere Ehefrau kennen, die Trennung in diesem Moment war schmerzvoll, aber unumgänglich. Regina ist eine geborene Obersteinerin, und es ist ganz normal, daß jeder Idar-Obersteiner Zuhause äußerst nützliche Edelsteinartikel und zugestaubte Mineralien herumliegen hat. Nur generell sind eben diese Steine für den ernsthaften Sammler uninteressant.
Beim Zusammenstellen des Expeditionsgepäcks auf dem Speicher von Reginas Elternhaus fielen mir nun einige besonders verstaubte, aber auch irgendwie ungewöhnliche Trümmer von größeren Drusen auf.Die Stücke waren bis zu 12 cm im Durchmesser und trugen etwa 5 bis 12 mm große Kristalle. Diese waren am Grund amethystfarben oder rauchig und hatten obenauf eine weiße, eher undurchsichtige, rauhe, zerfetzt wirkende Kappe. "Och, die sind aus dem Steinkaulenberg. Als ich dort als Fremdenführerin gearbeitet habe, durfte ich ein paar Steine vom Ausbau der Stollen aufklauben" - war die Auskunft meiner heutigen Ehefrau. Da mir bis dato noch kein authentisches Material vom Steinkaulenberg zur Verfügung stand, wollte ich es auf meiner Studentenbude mit dem Mikroskop studieren. Die Trümmer wurden in einen der Schlafsäcke gewickelt - und vergessen.
In der Mongolei kamen diese nun völlig unerwartet wieder zum Vorschein. Unter der Lupe erschienen die Trümmer nun in einem ganz anderen Licht. Auf diesen zweiten Blick hin erschienen die Kristalle gewöhnlichen Quarzen nicht mehr ähnlich. Im Inneren der Druse befanden sich jene seltenen kristallographischen Ausnahmen der Quarzbildung: Durchdringungszwillinge mit einspringenden Kanten, die den Kristallen ein sternartiges Aussehen verliehen.
Nachdem ich mir jede Mühe gab, die Stücke auf den folgenden Expeditionen in Changai, Gobi und Altai nicht zu verlieren, und nach einer viel zu langen Zeit dieses Land wieder zu verlassen, kam ich mit meinen Steinkaulenberg-Zwillingen wieder bei meiner Frau an.
Neben der Tatsache, daß diese Stücke die kirstallographisch interessantesten Ergebnisse der Mongoleiexpedition sind, sind diese auch die welterfahrentsten Stücke heimischer Region in meiner Sammlung.
Das Edelsteinbergwerk Steinkaulenberg in Idar-Oberstein ist heutzutage ein Begriff. Daß dem so ist, ist u.a. Verdienst meines mittlerweile leider verstorbenen Schwiegervaters. Als geschichtsbegeistertem Obersteiner, Stadtrat und Dienststellenleiter des Arbeitsamtes war es ihm möglich, AB-Maßnahmen im Zusammenhang mit der Wiederbegehbarmachung der alten Achatgräberstollen und Errichtung eines Schaubergwerkes zu organisieren und so zusammen mit vielen freiwilligen Helfern ein Geschenk an die Stadt und ihre Besucher zu machen. Dieser lebendige Prozeß ist mittlerweile institutionalisiert und so war leider kein Interesse an einer mineralogischen Untersuchung von meinerseite bei den Betreibern zu wecken.
Obwohl respektable Trümmer von verquarzten Drusen, die den Achatgräbern allenfalls lästig waren und heutzutage im Haufwerk der Stollen versteckt sind, und auf denen wissentschaftlich relevante Bildungen zu erwarten wären, zusammengetragen werden, bleibt der Zugang bislang zu diesen kristallographischen verwehrt.Trotz wiederholter Bemühungen war es mir daher nicht möglich, die Verbreitung der Drusen mit makroskopisch sichtbaren Quarzzwillingen festzustellen, und die vorhandene und zusammengetragene Bandbreite der Bildungen zu systematisieren.
Daß ich bei meiner Arbeit nicht auf die wenigen von meiner Frau gefundenen Drusen-Trümmer meiner Frau angewiesen war, ist Verdienst von Herrn Richard Ritter, einem ehemaligen Mitarbeiter beim Aufbau des Schaubergwerkes und des Schürfstollens, der einige Stücke mit nach Hause genommen hatte, und mir diese freundlicherweise zum Studium zur Verfügung stellte. Vom Umfang her genügte allerdings auch dieses Material nicht, um meine Untersuchungen auf eine etwas breitere Basis stellen.Deshalb begann ich, bei meinen Aufsammlungen von Achaten auf den Feldern rings um Idar, auch die Kristallbildungen näherem Augenschein zu unterziehen. Wie ich es mir erhofft hatte, konnte ich in einigen Zonen der näheren Umgebung, in denen Achatmandeln aufzulesen waren, auch makroskopisch sichtbare Zwillingsbildungen auffinden.
Zur Geologie:
Die Funde der Zwillinge aus dem Idarer Raum gehören erdgeschichtlich in die Periode des Perm, genauer bestimmt in die Zeit des Rotliegenden. Der in dieser Zeit in unserem Raum auftretende Vulkanismus bildete unter anderem basaltische, andesitische und dazitische Lavaströme aus. Diese zum Teil sehr gasreichen Lavaströme entgasten in oberflächennahen Zonen und schufen durch die Bildung von kugel- bis mandelförmigen Hohlräumen die Grundlagen zur Quarzbildung. Ungeachtet ihrer wahren petrographischen Natur, werden solche Bildungen auch als Melapyhr-Gesteine (Mandelsteine) angesprochen. Verwittern diese Gesteine, kann man die der Erosion gegenüber resistenteren Quarzbildungen, auf der Oberfläche auflesen.
Zwillingsgesetze bei Quarzen
Zwillinge bei Mineralen gehören zu den kristallographisch interessantesten und ästhetisch ansprechendsten Bildungen. Beim Quarz, einem der häufigsten Minerale unserer Erdkruste, sind Zwillingsbildungen gegenüber Einzelkristallbildungen die Regel, unverzwillingte Kristalle die seltene Ausnahme. Eine seltene Ausnahme ist aber auch, daß man diese doch so häufige Zwillingsbildung mit bloßem Auge anhand gleichmäßiger einspringender Winkel feststellen kann. Zum genaueren Verständnis der Gesetzmäßigkeiten müßen wir uns mit einigen Aspekten der Zwillingsgesetze beim Quarz auseinandersetzen:
Die Zwillingsgesetze beim Quarz lassen sich in zwei Gruppen aufteilen:
- Gesetze mit nicht parallelen Hauptachsen ( Zum Beispiel das "Japaner Gesetz")
- Gesetze mit parallelen Hauptachsen ( Brasilianer- G., Dauphinée-G., Kombinations-G.) - die sogenannten Penetrations- oder Durchdringungszwillinge.
Das für die in diesem Artikel beschriebenen Quarzbildungen geltende Zwillingsgesetz ist das Dauphinée-Zwillingsgesetz.
Bei der Bildung von Penetrationszwillingen verwachsen Individuen mit gleichem Drehsinn in der Grundposition um 180° verdreht um eine gemeinsame Hauptachse.
Dauphinée-Durchdringungszwillinge bilden im Idarer Raum die Sternförmigen Bildungen.
Liegen zwei noch unterscheidbare parallele Hauptachsen vor, bilden sich Kontaktzwillinge nach dem Dauphineé-Gesetz.
Kontaktzwillinge aus dem Idarer Raum erkennt man ihrer Ähnlichkeit mit Vogelschnäbeln.
Erkannt werden diese Zwillinge in der Regel anhand der speziellen Lage der Trapezoederflächen an den Kristallen. Anhand dieser Trapezoederflächen kann man auch entscheiden, ob ein rechter oder linker Dauphinéezwilling vorliegt.Allerdings muß man diese an einem Kristall erst einmal lokalisieren. Kommen diese überhaupt vor, sind sie oft verzerrt ausgebildet und/ oder sehr klein und können vom Ungeübten auch mit anderen Flächen, zum Beispiel Bipyramidenflächen verwechselt werden.
Da in der Regel die in der Natur vorkommenden Quarz mindestens aus einer Kombination von Prisma und zwei Rhomboedern bestehen ( die uns wie eine Pyramide erscheinen), ergibt sich bei einer Zwillingsbildung nach dem Dauphinée-Gesetz ein geschlossener Körper, an dem keine regelmäßigen einspringende Kanten, die ein makroskopisches Merkmal für Zwillingsbildungen wären, sichtbar werden.
Unter bestimmten Bildungsbedingungen bilden sich im Idarer Raum bevorzugt dreiseitige Quarze aus, bei den Zwillingsbildung mit einspringenden Kanten zu beobachten ist.Diese Quarze bilden eine sehr einfache Flächenkombination aus , eines von normalerweise zwei gebildeten Rhomboeder fällt weg und ein dreiseitig erscheinender Kristall bildet sich aus. Findet bei diesen Quarzen nun eine Zwillingsbildung statt, entstehen die im Folgenden dargestellten unterschiedlichen Erscheinungsformen.
Kontaktzwillinge:
Die Ähnlichkeit mit einem geöffneten Schnäbelchen kann man ihnen wirklich nicht absprechen. Dieser Schnabel entsteht durch den charakteristischen Winkell, den die beiden orientiert verwachsenen Rhomboder bilden. Diese Zwillinge treten einzeln auf, und können dann, gegenüber den anderen Quarzkristallen, größere Individuen bilden. Bei den Bildungen aus Berschweiler erreichen diese eine Größe bis zu 7 Millimeter, bei 3 Millimeter Durchschnittsgröße.Bei den Funden vom Steinbruch Juchem oder aus Eckersweiler, überziehen die Kontaktzwillinge die kompletten Drusenwände. Die Achsen der Einzelindividuen stehen hier relativ weit auseinander, das Schnäbelchen öffnet sich also recht deutlich. Bei Kontaktzwillingen aus dem Steinkaulenberg stehen die Achsen meist sehr nahe, und die Öffnung ist nur sehr klein.
Durchdringungszwillinge:
Haben die Individuen eine Hauptachse, bilden sich im Idar-Obersteiner Raum drei makroskopisch unterscheidbare Typen aus: Zwillinge mit noch deutlich vorhandenem Prisma, Zwillinge bei denen das Rhomboeder vorherrscht, und auf den ersten Blick gewöhnlich erscheinende Quarze deren Zwillingsnatur erst anhand ihrer einspringenden Kanten augenscheinlich wird. Die Zwillinge mit noch deutlich vorhandenem Prisma sind meist sehr klein (2-4 mm) und auch sehr selten (Bislang 4 Stücke). Sie können klar transparent bis durscheinend sein und sitzen ab und an zwischen den weitaus häufigeren Zwillingen mit einspringenden Kanten.Ihre Seltenheit ist wohl auch mit der generellen Neigung der im Idarer Raum vorkommenden Quarze, keine deutlichen Prismen auszubilden, erklärbar. ( Dies hängt vor allem mit dem Prinzip der geometrischen Auswahl zusammen). Es gibt bei Ihnen Übergänge sowohl zu den Zwillingen mit einspringenden Kanten, als auch zu jenen Zwillingen, bei denen das Rhomboeder dominiert.
Die Zwillinge, deren Ausehen durch das Rhomboeder bestimmt wird, sind die am skurillsten anmutenden Bildungen, da sie Flächenkombinationen zeigen, die man bei andern Mineralen erwartet, beim Quarz aber normalerweise nicht für möglich hält.
So ist zum Beispiel die Zwillingsbildung zweier reiner Rhomboeder um 180° um eine gemeinsame Hauptachse verdreht, bei dem schöne sternförmige Gebilde entstehen, für Zinnober alltäglich. Für das Mineral Quarz jedoch sind diese Exoten nicht mehr plausibel, man hält es hier eher für wahrscheinlich, daß ein anderes Mineral als Quarz vorliegt. Auch wenn die Rhomboeder unterschiedlich groß ausgebildet sind, kommt es zu ungewöhnlichen Bildungen.
Bei der letzten Gruppe, die ich bislang nur vom Steinkaulenberg nachweisen konnte, den Zwillingen mit einspringenden Kanten, kann dieses Charakteristikum unter Umständen recht klein ausgebildet sein, so daß es kaum aufällt, oder aber die Gestalt des Kristalles dominieren. Kristalle, die normgerechten Bildungen ähneln, sind am häufigsten.
Nicht nur kristallographisch interessanter, auch ungewöhnlich schön sind sternförmige Kristalle, die Drusen auskleiden wie die Sterne das Firmament.Diese Variante kommt am Steinkaulenberg recht häufig vor, fehlt aber bisher an anderer Stelle.
Neben den kristallographischen Besonderheiten fallen an all diesen Fundstücken genetische Besonderheiten ins Auge. Immer sind diese Bildungen Bestandteil einer komplexen Bildundungsabfolge von Quarz, die sich in der Ausprägung der unterschiedlichsten Varietäten äußert. Am Augenscheinlichsten ist dies an den Belegen aus dem Steinkaulenberg. Die älteste Quarzbildung ist eine dünne Schicht Achat, es folgt makroskopisch kristallisierter Quarz, meist Amethyst, danach eine deutlich trennende Schicht von Eisen-Oxiden mit schönen Goethit- und Hämatitkristallen, und direkt hierauf die Zone der Zwillingsbildungen. Abgeschloßen wird die Quarzbildung dann noch eventuell mit einer weiteren Schicht Chalcedon. Im Steinbruch Juchem und bei Funden aus Berschweiler stellt die Bildung von Kontaktzwillingen die erste Phase dar, die dannvon einer Achatbildung überlagert wird, auf die dann mehrere Abfolgen Quarz - Achat folgen können. Ähnlich stellt es sich auch in Eckersweiler dar, wobei hier als letzte Bildungsphase sogar farblos durchsichtiger Opal (Hyalit) vorkommen kann.
Betrachtet man all dies Vielfalt ungewöhnlicher Erscheinungsformen des Quarzes, kommt die Frage nach ihrer Entstehung auf.
Makroskopisch deutlich sichtbare Zwillingsbildungen sind bei meinen Aufsammlungen immer eine große Außnahme geblieben. Da sie zudem , wie oben schon erwähnt, immer im Zusammenhang mit einem deutlichen Quarzbildungs-Generationenwechsel vorkommen, ist anzunehmen, daß die Bildungszone für extrem flächenarme und so schön verzwillingte Quarze sehr schmal sein muß, und daß für ihr Zustandekommen ungewöhnliche Faktoren notwendig sind.
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